NACHLESE – paroknowledge 2016 Kitzbühel – Fachkongress der Österreichischen Gesellschaft für Parodontologie
23. Parodontologie Experten Tage | „Implantologie im Fokus der Parodontologie“
Autoren: Dr. Corinna Bruckmann und die TeilnehmerInnen des ULG „Paromaster“, Wien
Donnerstag, 09. Juni 2016 | Der Workshop-Tag & Offizieller Eröffnungsempfang
Zu dem von den Tagungsleitern Dr. Michael MÜLLER-KERN (wissenschaftlich) und Dr. Andreas FUCHS-MARTSCHITZ (organisatorisch) hochkarätig zusammengestellten Programm waren fast 400 Teilnehmer (Zahnärzte, Pass, Aussteller und Referenten) gekommen. Am traditionellen Workshoptag, konnten PAss und ZAss zwischen einem Update in Instrumentenkunde (DH Anne-Claire VAN DER LANS) und einem Blick in die Zukunft der parodontalen biofilmorientierten Instrumentation Dr. Ralf RÖSSLER (Bonn) wählen.
Zahnärzte hatten die Qual der Wahl sich eher chirurgisch oder konservativ weiterzubilden: PD Dr. Clemens WALTER (Basel) spezifizierte für Straumann die Defektkriterien für sinnvolle parodontale Regeneration wie folgt: Bei vertikale Defekten mit einer Weiter von weniger als 4mm und mindesten 4mm Tiefe kann Emdogain® alleine verwendet werden, bei weiteren Defekten ist ein partikulärer Füller, zB BioOss® indiziert. PD Dr. Adrian KASAJ (Mainz) demonstrierte am Schweinekiefer die Entnahme von (sub)epithelialen Transplantaten zur Rezessionsdeckung bzw. die Verwendung von Mucograft® (Fa. STRAUMANN) bei multiplen Rezessionen. In einem interaktiven Format des Corporate Forum (Fa. ZIMMER BIOMET) konnten die Teilnehmer mit PD Dr. Stefan FICKL (Würzburg) und Prof. Christian STAPPERT (USA) das Vorgehen bei drohendem Frontzahnverlust diskutieren. Die Vor- und Nachteile sowie das zeitlich Management von Socketpräservation (ARP) bzw. Kammaufbau wurden erörtert und an Fallbeispielen abgehandelt.
Bei DDr. Daniel DALLA TORRE wurden die Indikationen, Vorteile und Grenzen der intraligamentären Anästhesie und u.a. ihr vorteilhafter Einsatz in der Schwangerschaft besprochen und am Schweinekiefer praktisch erprobt. Dr. Michael MÜLLER-KERN (Wien) besprach das Rationale für Antibiose in parodontalen und periimplantären Infektionen. Er demonstrierte die lokale Anwendung von Ligosan Slow Release® (Fa. HERAEUS KULZER) in einzelnen parodontalen Resttaschen, wenn mechanische Massnahmen keinen Erfolg zeigte. Es wird kontinuierlich über 12 Tage ein ausreichend hoher antibiotischer Wirkstoffspiegel in der Parodontaltasche für mind. 1 Woche erzielt.
Die offizielle Eröffnung des Kongresses sowie das Referenten-Dinner fanden bereits zum wiederholten Male im schicken Rahmen des Casino Kitzbühel statt. Zum Ausklang des ersten Kongresstages wurde in die Weinbar von LEO HILLINGER geladen.
Freitag, 10. Juni 2016 – Erföffnungs-Session erstmals mit Keynotes für beide Teilnehmergruppen (Ärzte & Assistentinnen)
Der Freitag startete nach der Eröffnung durch den Präsidenten der ÖGP, PD Dr. Werner LILL und den Kitzbüheler Bürgermeister Dr. Josef WINKLER in neuem Format mit zwei Keynote-Vorträgen für Zahnärzte und PAss gemeinsam: Mag. Dominik FLENER (Health Care Consulting Group Wien) lenkte die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft auf überraschende Erkenntnisse der psychologischen Forschung: Wie werden Entscheidungen getroffen? Die Frage „wann gehen Sie morgen wählen?“ erhöht nachweislich die Wahlbeteiligung mehr, als „werden Sie wählen gehen?“. Diesen Ansatz kann man auch gut in der Kommunikation mit den PatientInnen nutzen. Prof. Christof DÖRFER (Kiel) präsentierte die derzeitige Faktenlage zur Parodontitis: Die 6-häufigste chronische Erkrankung der gesamten Menschheit und die ins Auge gefasste Refundierung der Langzeitbetreuung (UPT) in der BRD wird die Kostenträger vor große Herausforderungen stellen.
Das wissenschaftliche Hauptprogramm für Zahnärzte gliederte sich in mehrere thematische Blöcke:
- Prof. Katrin BEKES (Wien) zeigte in „Prophylaxe bei Kindern – wann und wie?“ auf, dass wir vom WHO Ziel Kariesfreiheit im Jahre 2020 mit einem DMFT von 2,1 bei 6-7 Jährigen noch entfernt sind. Vor allem, dass Karies in sozial ärmeren Schichten stärker vertreten ist: Die häufigste infektiöse Erkrankung im Kindesalter ist de facto die Milchzahnkaries, vor allem beginnend als early childhoodcaries (ECC, „Fläschchenkaries“) an den Glattflächen der Frontzähne bei strukturell dünnem Schmelz. Da Milchzähne jedoch eine wichtige Funktion für Ästhetik, Funktion, Phonation und als Platzhalter haben, muss ein Prophylaxekonzept in jedem Lebensalter individuell angepasst werden und Ernährung, Mundhygiene und Fluoride berücksichtigen.
. - PD Dr. Christoph RAMSEIER (Bern) gab mit „Systemische und lokale antibiotische, antiinfektiöse Therapie – aber wie?“ einen Überblick über die in der Parodontologie verwendeten Antibiotika. Parodontitis ist keine spezifische Infektionserkrankung. Nur 50% der in der Mundhöhle lebenden Bakterien sind identifiziert und die andere Hälfte ist nicht kultivierbar. Daher macht eine mikrobiologische Diagnostik mit den heutigen in der Praxis zur Verfügung stehenden Methoden mehrheitlich keinen Sinn. Der systemische Einsatz von AB sollte bei Rauchern, Bisphosphonatmedikation und systemischen Erkrankungen angedacht werden. Als ideal hat sich die Kombination von Metronidazol und Amoxicillin gezeigt, verabreicht nach dem 1. subgingivalen Debridement oder nach dem ersten Recall. Es darf jedoch die weltweit steigende Resistenzbildung nicht ausser Acht gelassen werden. Lokale Antibiotika könnten zB. bei Schmelzzungen oder Furkationen eingesetzt werden. Als weiterer Punkt ging er umfangreich über die Wirkungsweise von Chlorhexidin und seine Verwendungsmöglichkeiten bei Parodontitis ein.
. - Prof. Holger JENTSCH (Leipzig) erläuterte Probiotika (lebende Mikroorganismen sie in ausreichender Menge gesundheitliche Wirkung erzielen), Präbiotika (Oligosaccharide, wie Beispiel Inulin, welche als Futter für „gute“ Bakterien dienen) und Synbiotika (probiotisch fermentierte Milchprodukte mit Präbiotika zur Wirkungsteigerung). Eine ganz rezente systematische Review (J Clin Perio, 2016) bestätigte die positive Wirkung von Probiotika bei nichtchirurgischer Behandlung der chronischen Parodontitis vor allem auf Sondierungstiefen ? 7mm und Blutung.
. - Dr. Markus LAKY (Wien) berichtete über den positiven Effekt des adjuvanten Einsatz von Diodenlaser (800-980nm) und Nd:YAG Laser zu Scaling und Rootplaning bei chronischer Parodontitis. Auch Er:YAG und Er:Cr:YSGG Laser werden in der parodontalen Therapie eingesetzt. Ebenso gibt es Hinweise, dass vor allem der Erbiumlaser (1064nm) eine Möglichkeit der nichtchirurgischen Therapie bei Periimplantitisläsionen bietet. Günstige Effekte sind die Bakterizidie, die Möglichkeit der Konkremententfernung (nur beim Hard Laser) und Deepithelialisierung sowie die Biostimulation (Soft Laser). Nachteile sind mögliche Temperaturschäden und Zerstörung des Wurzelzements.
. - PD Dr. Alexander WELK (Greifswald) führte in die Welt des oralen Biofilms und warum dieser eine Herausforderung bleibt: bei einer Bakteriendichte von 200 Mio. Bakterien/mm2 ist die Zusammensetzung, und vor allem die Interaktion und Gentransfer zwischen den Spezies noch längst nicht bekannt. Klassische Methoden der Detektion wie Kultur und PCR bilden längst nicht mehr die Komplexität ab. Neue Technologien wie Proteomics ermöglichen die Identifikation immer neuer Bakterien, die seit einigen Jahren in diversen Datenbanken wie der Human Oral Microbiome Database (HOMD) gelistet werden. Erst die Kenntnis über das Zusammenwirken, insbesondere den Gentransfer kann die therapeutische Manipulation der Maturation ermöglichen.
. - PD Dr. Clemens WALTER (Basel) richtete die Aufmerksamkeit einerseits auf die erworbenen und genetisch vorhandene Risikofaktoren, die schlussendlich die individuelle Ausprägung der entzündlichen Immunantwort auf den bakteriellen Angriff im Parodont bestimmen. Hier sind vor allem Diabetes und Rauchen als sehr verbreitete Probleme anzuführen, die während der Parotherapie unbedingt adressiert werden müssen. Andererseits wurde über die nunmehr gut wissenschaftlich abgesicherten Wechselwirkungen zwischen Parodont und Gesamtorganismus berichtet: Hier ist auf die Bedeutung der systemisch messbaren Entzündungsreaktion des Parodonts hinzweisen. Diese triggert offenbar auch die Empfänglichkeit für Erkrankungen wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen.
. - PD Dr. Stefan FICKL (Würzburg) berichtete in „Risikopatienten und Prävention der Periimplantitis“ über die hohe Prävalenz und rasche Progression der Periimplantitis. Leider fehlen bislang echte Konzepte für die Behandlung! Auch bei perfekter parodontaler Vorbehandlung sei bei Paro-Patienten in 15% mit Knochenverlusten zu rechnen, ohne Vorbehandlung sogar in ca. 22%. Der Prävention (Beachtung von Pflegbarkeit, proth. Design und Putztechnik des Patienten) kommt daher besondere Bedeutung zu. Ein aufmerksamer Recall zur Erkennung von frühen Zeichen wie einer Mukositis, ggf. initialer Knochenverluste (Röntgenkontrollen im postop. Verlauf /Sondiereng im Verlauf) ist eminent wichtig, da in diesen Frühstadien die Aussicht auf eine Heilung noch durchaus gegeben ist.
. - PD Dr. Adrian KASAJ (Mainz) stellte sich der Frage „Wann ist ein Zahn hoffnungslos?“ Die Entscheidungsfindung Zahnerhalt oder Extraktion und Implantation wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Die zahn-, patienten- und behandlerabhängigen Faktoren wurden aus parodontologischer Sicht genau beleuchtet. Die Überlebensrate und prognostischen Einschätzung selbst von parodontal vorgeschädigten Zähnen im Vergleich zu Implantaten kann aufgrund langjähriger Studien als vergleichbar bezeichnet werden. Daher ist der Zahnerhalt auch bei reduziertem Parodont durchaus in vielen Fällen gerechtfertigt. Es sollte die vorauseilende Extraktion („to make space for titanium“) vermieden werden.
. - Mehrwurzelige Zähne bilden bei zunehmendem Attachmentverlust für den Behandler eine besondere Herausforderung, da der interradikuläre Bereich eine sehr komplexe Anatomie aufweist. Dr. Karl SCHWANNINGER (Praxis Wien) stellte die Therapiemöglichkeiten von der konservativen Therapie bis zur Regeneration dar, wobei die Langzeitprognose für die Wahl der Methode ausschlaggebend ist. Neben wenig invasiven resektiven Methoden wie Odontoplastik oder Wurzelamputation können Tunnelierung oder Prämolarisierung durchgeführt werden. Das Zusammenspiel der Fachgebiete Parodontologie, Endodontologie und Implantologie ist hierbei essentiell.
. - PD DDr. Ulrike KUCHLER (Wien) widmete sich den Veränderungen der Alveole nach Extraktion, die anterior immer stärker als posterior sind und horizontal stärker als vertikal. Falls bis zum Zeitpunkt der Implantation mehr als 6 Monate vergehen werden ist primär eine Kammerhaltung (ARP) anzustreben. Diese wird positiv beeinflusst von schonender Extraktion, Einsatz von Membranen, Xenografts und Allografts. Die Ergebnisse für Alloplaste sind nicht überzeugend. Nach Bestrahlung, bei Entzündung oder Bisphosphonatgabe wegen Tumortherapie muss auf die ARP verzichtet werden.
Erstmals wurde von den ÖGP YOUNGSTERS eine Vortragsschiene gestaltet: Parallel zum Hauptprogramm am Freitag wurden von PD Dr. Kristina BERTL (Malmö) und Dr. Behrouz AREFNIA (Graz) Fragen aufbereitet, die sich in der Praxis häufig stellen:
- Welche Tests sind nützlich?
- Was helfen nicht-antibiotische Zusätze?
- Was tun bei schwerer Parodontitis in der Schwangerschaft?
- Bei welchen Patienten gibt man Antibiotika?
Hier fanden sich in der Zuhörerschaft viele Praktiker ein. Im Anschluss referierte Univ. Prof. Dr. Andreas STAVROPOULOS (Malmö) über die biologischen Grundlagen von Knochenersatzmaterialien, die ganz wesentlich die Indikation bestimmen. Dann wurde eine „Greek Bar“ eröffnet, bei der unter dem Titel „der Professor schenkt ein“ spezielle Fragen in der Kleingruppe diskutiert wurden.
Das wissenschaftliche Programm für PAss, ZAss und DHs
Die PAss Delegierte der ÖGP, Cornelia BERNHARDT und Dr. René GREGOR hielten gemeinsam eine Round-Table Diskussion ab: Dabei wurden die Herausforderungen und Errungenschaften des letzten Jahres berichtet und Anregungen für die Weiterentwicklung des Berufsbildes und die Stellung der PAss in der ÖGP aufgenommen. Danach zeigte Dr. Corinna BRUCKAMNN (Wien), dass professionelle Mundhygiene keine Waschstraße darstellen darf, sondern bereits davor einiges über die PatientInnen bekannt sein muss. Obwohl Diagnosen durch ÄrztInnen gestellt werden, muss die PAss Anamnese und Befunde lesen und interpretieren können und bei der Erstellung derselben mithelfen.
Dr. Sylke DOMBROWA (Fa. HAIN-LIFESCIENCE) warnte in ihrem Vortrag vor unkritischer Antibiotikagabe (AB): Weltweit steigen die Resistenzen alarmierend an. Dies ist nur durch gezielte, eventuell nach vorheriger Testung, ausreichend hoch dosierte und ausreichend lang eingenommene Gabe zu verhindern. Auch die zahnärztlichen Praxen müssen hier ihren Beitrag leisten.
PD DDr. Gabriella DVORAK (Wien) besprach die häufig in der Praxis beobachteten unklaren „Rötungen“ im Mund. Was ist gefährlich, was nicht? Auch hier gilt: Die Diagnose stellt der Arzt, aber es ist gut, wenn auch die PAss weiß, was es im schlimmsten Fall gibt. Alles was nach spätesten 2 Wochen nicht abgeheilt ist, muss einer weiteren Untersuchung zugeführt werden!
Abschließend widmete sich Cornelia BERNHARDT (Innsbruck) noch einem ganz aktuellen Thema: Der großen Herausforderung in der Betreuung alter und ganz alter PatientInnen, die technische Konstruktionen wie Implantate, Geschiebe, Kronen, Brücken nicht mehr bzw. nur eingeschränkt pflegen können. Hier ist viel Geduld, Kreativität und Einfühlungsvermögen, sowie der zusätzliche Einsatz von Antiseptika nötig.
Die legendäre Alm-Lounge-Party No. 3
Nach der ÖGP Jahreshauptversammlung fand die bereits legendäre Alm-Lounge-Party statt. Erstmals im renommierten KITZBÜHELER COUNTRY CLUB – und wie immer war Dirndl und Lederhose angesagt. Diese „Signature-Veranstaltung“ der paroknowledge war heuer in diesem exklusiven Ambiente, dem besonders guten Wetter und der ausgeprägt ausgelassenen Stimmung das Highlight des Rahmenprogrammes. Bereits zum zweiten Mal heizte DJ an den Turntables dermaßen ein, dass bereits ab 22.00 der Dancefloor voller Tanzbegeisterter überquoll.
Samstag, 11. Juni 2016 – Praktikertag für das Praxis-Team und Intensiv Seminaren
Am Samstag benötigten manche Teilnehmer ein bisschen mehr Anlaufzeit bis sie in die Vortragssäle zum Thema Periimplantitis fanden – für viele hat das Fest am Vorabend in anderen Lokalen Kitzbühels wohl noch etwas länger angehalten.
Das wissenschaftliche Hauptprogramm für Zahnärzte
Univ. Prof. Dr. Giovanni SALVI (Bern) betonte, dass bei Parodontitispatienten ein erhöhtes Periimplantitisrisiko besteht: zu vermeiden sind Sondierungstiefen >5mm und BoP >30%. Weitere Risiken für Periimplantitis stellen schlechte Muhy, schlechte Reinigungsfähigkeit (auskragend verblockte Suprakonstruktion), fehlender Recall, Rauchen, fehlende keratinisierte Mukosa und Zementreste dar. Die nicht chirurgische Therapie der Periimplantitis besteht in mechanischer Reinigung mit Handinstrumenten, Ultraschall und Titanbürstchen sowie Antiseptika und Diodenlaser. Die chirurgische Therapie ist die Reinigung unter Sicht in Kombination mit apikalem Verschiebelappen, bei Versagen die Explantation. In Hinsicht auf Alternativen zeigte er, dass die 10-Jahres-Überlebensrate bei resezierten Molaren jener von Implantaten im Molarenbereich entspricht und die 10-Jahres-Überlebensrate zahngetragenen Brücke ähnlich die implantatgetragener Brücken ist. Daher empfiehlt auch Prof. Salvi, keine prophylaktische Zahnextraktion durchzuführen sondern eher zu versuchen eigene Zähne solange als möglich zu erhalten.
PD Dr. Moritz KEBSCHULL (Bonn) zeigt in „Was gut für die Einheilung ist, muss nicht gut für die Langzeitprognose sein“ auf, dass immer noch unklar sei, was Periimplantitis (Prävalenz 22%) eigentlich für einen Erkrankung sei und die Behandlung nur unzureichend und nicht vorhersagbar möglich ist. Eine wesentliche Rolle bei der Entstehung, dem Fortschreiten sowie bei der Behandlung der Periimplantitis kommt offenbar auch den modernen, für eine optimale Einheilung sehr stark aufgerauten Oberflächen zu. Titanpartikel können sich beim Einbringen lösen, die Inflammasome stimulieren und zu verstärkten Entzündungsreaktionen führen. Rauigkeit bedeutet auch eine größere Plaqueadhärenz und mehr biologische Komplikationen, da die Dekontamination erschwert ist. Kebschull schloss sich dem Vorredner an: Der Fokus muss auf die Reduzierung von Risikofaktoren gelegt werden.
Im zweiten Teil des Vormittags wurde die Implantatästhetik und Weichgewebsmanagement abgehandelt. Die Rote Ästhetik unter dem Stichwort „Brauchen wir noch autologe Transplantate“ wurde von PD Dr. Adrian KASAJ (Mainz) übernommen: Goldstandard ist nach wie vor das autologe Transplantat mit dem Nachteil der oft über Wochen schmerzhaften Entnahmestelle. Alternativen stellen zelluläre dermale Matrices porcinen Ursprungs dar, oder Emdogain in Kombination mit azellulärer Matrix. Als Vorteil gilt die unbeschränkte Verfügbarkeit des Materials. Es ist jedoch ein techniksensitiver Prozess, bei dem die vollständige Deckung wichtig ist. Beide Methoden zeigen auf lange Frist bislang noch nicht so stabile Ergebnisse wie autologes Material.
PD Dr. Michael WEINLÄNDER (Wien) wies auf die Wichtigkeit der Implantat-Abutmentverbindung als die Schlüsselstelle für langfristige Implantatgesundheit hin. Hier nimmt eine etwaige Infektion ihren Ausgang, daher ist auf die Gestaltung und Pflegbarkeit besonderes Augenmerk zu legen.
Zum Thema Hartgewebsmanagement zeigte Univ. Prof. DDr. Christian ULM (Wien) diverse Alternativen zur klassischen Methode des transkrestalen Sinuslifts auf: diesen gemein ist die weniger invasive transalveoläre Anhebung des noch vorhandenen Alveolarknochens gemeinsam mit der Schneider´schen Membran. Hierfür wurden in den letzten Jahren Spezialinstrumente und Hilfsmittel entwickelt, die das Vorgehen sicherer und voraussagbarer gestalten können.
PD Dr. Georg STRBAC (Wien) zeigte als Alternative zum Implantat vor allem bei Jugendlichen die möglichst atraumatische Autotransplantation auf: diese bietet meist eine ästhetisch ansprechende Therapiemöglichkeit. Folgenden Faktoren sind bedeutsam: das Wurzelwachstum sollte zu ¾ abgeschlossen, das Foramen apicale ca. 1 mm offen, das Empfängerbett 1–2 mm breiter als der Donor und frei von Entzündungen sein. Bei limitiertem Knochenangebot sich, das Transplantat um 90° gedreht einzusetzen. Für 3–6 Monate soll das Transplantat möglichst nicht belastet werden. Dieses Vorgehen bietet als Vorteile den Erhalt der Propriozeption, orthodontische Zahnbewegung nach der Einheilungsphase, normale Entwicklung des Alveolarknochens.
Dr. Norbert HASSFURTHER (Praxis Wettenberg) berichtete aus der Praxis über Kieferkammrekonstruktionen mittels GTR/GBR. Dabei wird mit einer titanverstärkten Membran (Neoss), dort wo Knochen fehlt, ein Hohlraum geschaffen. In dem Hohlraum bildet sich neues Knochengewebe aus mit oder ohne Hinzugabe von Eigenknochen. Die Eigenknochenentnahme erfolgt aus der Linea obliqua bzw. aus dem Kinn mit einer Einheilzeit von 5-9 Monaten. Bei Periimplantitisfälle wird nach Abnahme der Suprakonstruktion gereinigt und nach Verschluss des Knochendefekts durch eine Membran erfolgt die geschlossene Abheilung.
Im letzten Vortragsblock wurde vor allem die Interdisziplinarität betont: Dr. Siegfried MARQUARDT (Praxis Tegernsee) sieht als Grundlage für den Langzeiterfolg komplexer Fälle (hohe Prävalenz psychosozial gestresster PatientInnen mit hohem ästhetischen Anspruch) die genaue Diagnose, systematische Planungen und konsequente Durchführung. Basierend auf Fallbeispielen und wissenschaftlicher Bewertungen zeigte er auf, wie Informationen aus der Funktionsdiagnostik in den Artikulator und schließlich in die prothetische Rekonstruktion übertragen werden können, um Rekonstruktionen unter Vermeidung technischer und funktioneller Probleme dauerhaft stabil umzusetzen.
Dr. Axel MORY (Praxis Wien) zeigte den digitalen Workflow zur Analyse dentoalveolärer Defizite im Frontzahnbereich. Dieser beginnt mit en face Bilder und „close up’s“ der Patienten. Detailvergrößerungen sorgen für prätherapeutische Visualisierungen und für eine deutlich verbesserte Diagnostik. 3D-Visualisierungen der Knochensituation aus DVT-daten und deren Überlagerung mit STL-Daten von Zähnen und Zahnfleisch ermöglichen in realen Dimensionen zu planen und damit vorhersagbare ansprechende Ergebnisse zu erreichen.
Last but not least beeindruckte Univ. Doz. DDr. Xiaohui RAUSCH-FAN (Wien) mit einer Serie von über viele Jahre hinweg durchdokumentierten komplexen Fällen, in der das Zusammenspiel zwischen parodontaler Therapie, Implantattherapie und Kieferorthopädie perfekt dargestellt wurde. Insbesondere die Langzeitstabilität der Ergebnisse wurde hierbei untersucht und bewiesen.
Der Praktiker-Tag
Das wissenschaftliche Programm für ZahnärztInnen im Raum Palladium wurde auch am Samstag von einem Parallelprogramm begleitet: Am Praktiker-Tag, der für das gesamte Team ausgeschrieben war, zeigte MR Prof. h.c. Dr. Peter KOTSCHY (Wien) Ergebnisse aus 47 Jahren Praxis. Er hatte in seiner Berufslaufbahn die Erfindung der regenerativen Therapie erlebt und perfektioniert und sich dann wieder weniger invasiven Methoden, wie der Wurzeloberflächenbehandlung mittels Glasperlenabstrahlens zugewandt.
Prof. Dr. Ralf RÖSSLER zeigte anhand von Patientenfällen mittels Kosten-Nutzen Rechnung eindrucksvoll, wie vorteilhaft die nicht-chirurgische Parotherapie bzw. der Recall sich aufgrund des geringen Materialaufwands kostenseitig abbilden lassen.
Dr. Axel MORY diskutierte im Anschluss mit Teilnehmern mitgebrachte Fälle: Ein sehr interaktiver Programmpunkt, der in den nächsten Jahren sicher noch ausgebaut werden kann.
PD Dr. Christoph RAMSEIER konnte mit dem von ihm weiterentwickelten Motivational Interviewing zeigen, dass auch „verfahrene“ Kommunikationsblockaden mit System gelöst werden. Diese Methode kann relativ einfach gelernt werden.
Univ. Prof. Christof DÖRFER bewies auch in dieser Schiene wieder, die „Langlebigkeit“ von Zähnen, die in keiner Weise schlechter als die von künstlichen Zahnwurzeln ist. Das Modell Zahn ist seit Millionen Jahren bei vielen Spezies erfolgreich im Einsatz.
DDr. Polina KOTLARENKO (Wien) und ZTM Tom VASKOVICH demonstrierten den digitalen Workflow unter Verwendung eines virtuellen Artikulators in 4 Schritten zur „full mouth rehabilitation“ komplexer Fälle. Nach dem digitalen Transfer der Modelldaten und Findung der neuen Höhe mittels Schiene wird eine „Probedentition“ probegetragen und bei Akzeptanz aus Hybridmaterial gefräst.
Den Abschluss stellte die in jeder Praxis täglich anzutreffende, von DDr. Gerlinde DURSTBERGER (Wien) aufbereitete Problematik des medizinisch kompromittierten Patienten dar. Insbesondere das perioperative Management bei neuen Antikoagulanzien, deren Wirkung nicht mehr durch INR Test beurteilt werden kann und für die es kein Antidot gibt, war hierbei ein Thema: Nach Rücksprache mit dem Internisten wird für 1 oder zwei Tage die Medikation unterbrochen. Neue Richtlinien zur Endokarditisprophylaxe, der Umgang mit Diabetikern sowie PatientInnen unter Bisphosphonattherapie rundeten diesen sehr praxisbezogenen Vortrag ab.
Hauptprogramm ZAss, PAss, DH
Das Programm für PAss, ZAss und DHs im Kaiserhof startete am Samstag mit Univ. Prof. Dr. Holger JENTSCH (Leipzig), der sich dem Einfluss der Ernährung auf das Parodont widmete. Insbesondere der Verzicht auf Zucker und der Einsatz von Probiotika haben bewiesenermaßen einen guten Effekt auf das Entzündungsgeschehen.
Der moderne Lifestyle beeinflusst aber nicht nur das Weichgewebe, nein auch die Zähne: Univ. Prof. Dr. Nicole ARWEILER (Marburg) zeigte zuerst das zunehmende Problem der erosiven Schäden auf (intrinsische Ursachen wie Reflux und extrinsische Ursachen wie Ernährung, Getränke, Medikamente). Im zweiten Teil berichtete sie über die Möglichkeiten, die häufig erosiv oder abrasiv bedingten Zahnempfindlichkeiten zu behandeln. Bei den nicht-invasiven Methoden scheinen besonders Technologien wie Arginin oder Zinnchlorid wirksam.
Danach standen die Jüngsten am Programm: Univ. Prof. Dr. Katrin BEKES (Wien) stellte Methoden vor, wie durch altersgerechte Kommunikation und kurze Behandlungssequenzen der Grundstein für eine gute Kooperation gelegt werden. BehandlerInnen sollten die individuellen Ressourcen des Kindes erkennen können und dementsprechend darauf reagieren.
Das Nachmittagsprogramm startete mit der Frage „Sind antimikrobielle Mundspülungen überflüssig?“ und wurde von PD Dr. Alexander WELK (Greifswald) mit „Ja, wenn…“ beantwortet: Bei eingeschränkter Mundhygiene, vermindertem Speichelfluss (etwa durch Medikamente), aber auch erhöhter Rezidivgefahr nach erfolgreiche Parodontaltherapie werden in den vielen Fällen sinnvollerweise Mängel der heimischen Biofilmkontrolle durch Antiseptika ausgeglichen. Hier sind in erster Linie essentielle Öle und Chlorhexidin zu nennen. Aber auch Cetylpryridiniumchlorid oder die Kombination aus Aminfluorid/Zinnfluorid zeigen sich wirksam. Jedenfalls muss die Empfehlung individuell und unter Beachtung von Kontraindikationen (kein Alkohol bei Kindern!) erfolgen.
Dr.Michael MÜLLER-KERN (Wien) zeichnete den Weg eines als parodontal erkrankt identifizierten Patienten in der Praxis auf. Wo sind Schnittstellen? Wann erfolgen weitere Therapieentscheidungen? Die Betreuung von parodontal Erkrankten, insbesondere das chirurgische/implantologische Management erfordert die Zusammenarbeit des gesamten Teams: Implantate werden erst im perfekt vorbereiteten Mund gesetzt, alle Beteiligten kennen und erfüllen die Erfordernisse, die an Hygienefähigkeit und Entzündungsfreiheit gestellt werden um Langzeitstabilität trotz erhöhten Ausgangsrisikos zu erzielen.
Dr. Selma HUSEJNAGIC (Wien) gab einen Überblick über die photodynamische, Low-Level-Laser- und Ozontherapie. Wann lohnt der zusätzliche Einsatz dieser Behandlungsmethode, deren Zeitaufwand und somit Kosten berücksichtigt werden müssen? Die Langzeitergebnisse aus derzeit vorliegenden Studien zeigen durchaus Nutzen, auch wenn dieser klinisch wenig signifikant ist: Die Methoden sind gut, aber noch nicht besser, als das herkömmliche mechanische Debridement.
Den Abschluss bildete Dr. Hady HARIRIAN (Wien) mit einem spannenden Vortrag über ein Thema, das uns alle angeht: durch Umwelteinflüsse, insbesondere Weichmacher im Plastik, wird nicht nur die Ablesung der Gene (auf der DANN) verändert (epigenetischer Einfluss), sondern diese Veränderung auch weitervererbt. Gegensteuerung kann auch stattfinden, nämlich z.B. über die Ernährung: Hier zeigen sich Nahrungsmittel wie grüner Tee besonders günstig zur Reparatur.
Intensiv-Seminare mit ausführlichen Themen
Eine weitere Programmschiene am Samstag ermöglichte den zahnärztlichen Teams sich vertiefend auf ein Thema einzulassen: Hier gab es nochmals die Chance, beim Eröffnungsredner Mag. Dominik FLENER Tools für eine passgenaue Patientenansprache zu lernen: Der Schlüssel ist das Erkennen einer von drei Persönlichkeitsstrukturen, um dann darauf eingehen zu können.
Mona SPATZ (DEXCEL PHARMA) stellte anhand von Hands-On Beispielen die Behandlung von Parodontitis u. Periimplantitis mittels PerioChip® sowie die erfolgreiche Erhaltungstherapie im parodontalen Behandlungskonzept mit hochkonzentriertem CHX Abstract vor.
Mit dem Marketingexperten Günter LICHTNER (triomondo marketing GmbH) konnten Konzepte und Strategien für die Einbindung neuer Medien in die Zahnarztpraxis erarbeitet werden: Patienten erwarten zunehmend, dass das zahnärztliche Team auch auf diesem Gebiet professionell und am Stand der Zeit auftritt.
Hilfestellung für durch unphysiologische Arbeitshaltung bedingte Rückenbeschwerden wurde durch die Anwendung physiotherapeutischer Maßnahmen vom Physiotherapeuten Wolfgang KAISER (Kitzbühel) gegeben: Im „Aktiv-Workshop Rückenfit“ – Dysbalancen erkennen und ausgleichen“ wurde ein aktives Übungsprogramm erarbeitet und ein Arbeitsblatt mit entsprechenden Übungen samt Anleitung zum selbständigen Training für zu Hause, bzw. auch am Arbeitsplatz mitgegeben.
Am späten Samstagnachmittag endete dieser an Anregungen und Vorträgen übervolle Kongress. Ein größeres Kompliment, als dass die Industriestände erst nach der letzten Kaffeepause zusammenpackten kann es kaum geben. Die Stimmung bei TeilnehmerInnen und Vortragenden war perfekt und das Wetter tat sein Übriges um auch diese paroknowledge zu einem gelungen Event zu machen. Der bereits 2014 eingeführte Industrie-Roundtable, zu dem alle Aussteller geladen waren und kamen, brachte in einer offenen und anregenden Diskussion Ideen für zukünftige Kongresse.
Die nächste paroknowledge wird 2017 wieder in Kitzbühel stattfinden. Notieren Sie schon jetzt den Termin: paroknowledge 2017 | 18.-20. Mai | Kitzbühel
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Anm. d. Redaktion – Gender Hinweis!
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