Telegramm zur DGZMK S1 Leitlinie „Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern“
Spätestens seit sich im Frühjahr dieses Jahres die Situation immer mehr zugespitzt hat und am 11.03.2020 die weltweite Ausbreitung von SARS-CoV-2 von der WHO zur Pandemie erklärt wurde, beschäftigt uns die Thematik nicht nur im persönlichen, familiären Umfeld, sondern – durch die ständige berufliche Exposition gegenüber Spraynebel und dessen Rückprall – noch viel intensiver im beruflichen.
Lange begleitete die Mehrheit von uns der Wunsch nach klaren Handlungsempfehlungen und Leitlinien. Im September wurde von der DGZMK die S1 Leitlinie „Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosolübertragbaren Erregern“ veröffentlicht. Die Leitlinie bezieht sich ausschließlich auf die Bildung von Spraynebel und -rückprall sowie Aerosolen bei zahnärztlichen Tätigkeiten.
Die Youngsters möchten Euch an dieser Stelle die wichtigsten Themen und die dazugehörigen Empfehlungen näherbringen:
PERSONAL- UND PATIENTENSCHUTZ
Triage von Verdachtsfällen
- Spätestens vor Beginn der Behandlungsmaßnahmen, besser vor Betreten der Praxis per Telefon oder über einen Aushang an der Tür, sollen Verdachtsfälle herausgefiltert werden.
- Typische Symptome einer Infektion mit SARS-CoV-2 sollen gezielt abgefragt werden.
- Fragen bezüglich potentieller Kontakte zu COVID-19 positiven Patienten in den vergangenen 2 Wochen sollen gezielt abgefragt werden.
- Die Messung der Körpertemperatur im Rahmen der Triage von Verdachtsfällen kann erfolgen.
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RISIKOGRUPPEN SCHÜTZEN
- Um Risikogruppen vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 zu schützen, sollte bei diesen eine Abwägung des Nutzens der zahnmedizinschen Behandlung im Verhältnis zu einer möglichen Ansteckung mit SARS-CoV-2 erfolgen. Zudem sollte die zahnmedizinische Behandlung in den Tagesablauf so integriert werden, dass möglichst wenig Kontakt zu anderen Patienten stattfindet.
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VERDACHTSFÄLLE UND BESTÄTIGTE COVID-19 FÄLLE
- Verdachtsfälle und bestätigte COVID-19 Fälle sollten vorzugsweise in speziellen Zentren, Kliniken oder Praxen behandelt werden. Wenn dies im Ausnahmefall nicht möglich ist, sollten notwendige Behandlungen in räumlicher und organisatorischer Trennung von den Patienten der Normalsprechstunde unter Gewährleistung der hierfür festgelegten Hygiene-und Sicherheitsmaßnahmen in der Zahnarztpraxis durchgeführt werden.
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DISTANZIERUNG
- Eine Distanzierung der Patienten zum Personal soll durch die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m zur Anmeldung eingehalten werden. Auch das Anbringen einer Plexiglasscheibe an der Anmeldung kann zum Schutz der Mitarbeiter vor Tröpfchen empfohlen werden.
- Der Abstand zwischen Patienten aus unterschiedlichen Haushalten soll mindestens 1,5 m betragen, um das Risiko der Übertragung der Infektion via Tröpfchen zu minimieren.
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TRAGEN EINER MUND-NASEN-BEDECKUNG
- Patienten sollten bei Betreten der Praxis gebeten werden, eine Mund-Nasen- Bedeckung bis zum Beginn der Behandlung und im Anschluss daran zu tragen.
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KONSEQUENTE UMSETZUNG DER BASISHYGIENE
- Konsequente Umsetzung der Basishygiene einschließlich der Händehygiene. Beim Betreten der Praxis sollten die Patienten aufgefordert werden, sich die Hände zu waschen bzw. zu desinfizieren. Je nach epidemiologischer Lage kann auf Zeitschriften, Spielzeuge und weitere entbehrliche Gegenstände im Wartezimmer verzichtet werden.
- Da eine Übertragung über Kontaktflächen nicht ausgeschlossen werden kann, soll zusätzlich zur Basishygiene eine regelmäßige Wischdesinfektion der Kontaktflächen erfolgen.
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DAUERHAFTES TRAGEN EINES MNS
- Angestellte sollten dauerhaft, auch außerhalb des Behandlungszimmers, einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) tragen, beziehungsweise das Abstandsgebot, auch in Pausen und Umkleideräumen, einhalten.
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PERSONALTERSTUNG
- Personal, das Symptome einer COVID-19 Infektion aufweist, soll umgehend isoliert und mittels PCR auf das Vorliegen einer Infektion getestet werden.
- Für die Testung von symptomfreien Mitarbeitern in der Praxis gibt es nicht genügend belastbare Daten.
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PATIENTENTESTUNG
- Patienten, die Symptome einer COVID-19 Infektion aufweisen, sollen bis zum Vorliegen eines negativen Tests nur im Notfall behandelt werden.
- Sofern es sich um zahnärztliche Notfälle handelt, soll die Notfallbehandlung unter Einhaltung der in Kapitel 8 aufgeführten Schutzmaßnahmen durchgeführt werden.
- Eine ungezielte Testung von asymptomatischen Patienten soll nicht erfolgen, kann jedoch bei erhöhter lokaler Risikosituation sinnvoll sein.
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VERWENDUNG VON GESICHTSSCHUTZVISIEREN
- Die zusätzliche Verwendung von Gesichtsschutzvisieren kann die Sicherheit starker Konsens weiter erhöhen.
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FFP-2/FFP-3 MASKEN
- Zahnmedizinisches Personal soll bei Kontakt mit Patienten mit Infektion oder begründetem Verdacht einer SARS-CoV-2-Infektion FFP-2/FFP-3 oder analog hierzu N95 Masken tragen.
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MNS
Für die zahnärztliche Behandlung von Patienten, für die kein Verdacht besteht, mit SARS-CoV-2 oder Tuberkulose infiziert zu sein, gilt:
- Bei der Behandlung soll das zahnmedizinische Personal einen medizinischen MNS anlegen.
- Durch den ordnungsgemäßen Sitz des MNS (gute Anpassung im Nasenbereich und möglichst maximale seitliche Dichtigkeit) und die Einhaltung der Griffdisziplin wird die bestmögliche Barrierefunktion gewährleistet.
- Für das generelle Tragen einer FFP-2/FFP-3 oder N95 Maske bei allen zahnärztlichen Tätigkeiten unter Einsatz wassergekühlter Instrumente liegen derzeit keine belastbaren Daten vor.
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RESSOURCENSCHONENDER EINSATZ VON MASKEN
- Bei Lieferengpässen im Zusammenhang mit COVID-19 kann eine personenbezogene Wiederverwendung oder Aufbereitung von Mund-Nasen- Schutz und FFP-Masken erfolgen.
- Ein praktikabler Ansatz für die Wiederverwendung von Masken kann darin bestehen, jedem Beschäftigten mindestens fünf Masken zur Verfügung zu stellen und diese im täglichen Wechsel zu benutzen, da eine mögliche SARS-CoV- 2-Kontamination der vier nicht verwendeten Masken nach spätestens fünf Tagen inaktiviert wird.
- Alternativ kann eine personenbezogene Aufbereitung der Masken durchgeführt werden. Als Aufbereitungsverfahren sollte die Aufbereitung im Sterilisator (z. B. bei 121°C) erfolgen, da sich die Methode als wirksam und materialschonend erwiesen hat.
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MUNDSPÜLLÖSUNGEN
Kurz vor dem Eingriff sollten Patienten gebeten werden für 30-60 Sekunden zu spülen. Möglichkeiten sind:
- (kleiner/gleich) 0,1 % Octenidin®
- 1-1,5% H2O2
- 0.2% Povidone-Iod
- 0,2% Chlorhexidin
- 0,2% Cetylpyridinium Chloride
- (kleiner/gleich) 0,25% Natriumhypochlorit
- Dequonal®
- Listerine cool mint®
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PROTEKTIVE MAßNAHMEN
- Falls möglich, sollte die Anlage eines Kofferdams erfolgen. Literatur: [8, 27, 28, 63, 64]
- Es soll die konsequente und hochvolumige Absaugung gewährleistet werden. Ebenfalls sollte auf eine durchmesseroptimierte Saugkanüle (größer/gleich 10mm) geachtet werden. Sofern diese gewährleistet ist, haben zusätzliche Geräte zur Absaugung aktuell keine belastbare Evidenz.
- Auch bei Behandlungsmethoden, die ohne Assistenz realisiert werden, beispielsweise profesionelle Zahnreinigungen, soll eine großvolumige Spraynebelabsaugung erfolgen.
- Nach Behandlungen, bei welchen sich Aerosole gebildet haben, soll effektiv gelüftet werden.
- Nahezu alle in der zahnärztlichen Praxis schnell rotierenden bzw. hoch oder höchst-frequent schwingenden Instrumente, bedürfen eines Kühlmediums. Ebenso bedingen Pulver-Wasser-Strahlgeräte einer Kombination aus Luft, Flüssigkeiten und Pulver zur Erzeugung des reinigenden Strahls, weshalb all diese Instrumente systemimmanent mit einer ausgeprägten Spraynebelbildung einhergehen.
- Deshalb sollte der Betrieb dieser bei begründeten Verdachtsfällen vermieden werden, sofern dies klinisch möglich ist.
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ZAHNÄRZTLICHE NOTFÄLLE BEI SYMPTOMATISCHEN UND INFIZIERTEN PATIENTEN (SARS-COV-2)
Sofern es sich um dringend notwendige Behandlungen im Rahmen einer Notfallbehandlung (Schmerzen, Abszesse, Infektionen, Komplikationen z.B. Nachblutung, Trauma etc.) handelt, sollen folgende Maßnahmen beachtet werden:
- Strikte räumliche Trennung von allen anderen Patienten.
- Tragen eines MNS bis zum Beginn der Behandlung.
- Terminierung der Behandlung möglichst am Ende des Tages.
- Tragen der persönlichen Schutzausrüstung durch das behandelnde Personal:
(1) Schutzbrille/Gesichtsschutzschirm
(2) Atemschutzmaske der Klasse FFP-2 oder FFP-3
(3) Hygienische Händedesinfektion
(4) Einmalhandschuhe
(5) Langärmliger, flüßigkeitsabweisender Schutzkittel
(6) Vorzugsweise Kopfhaube und Füßlinge (um die Verunreinigung der eigenen Person
zu verringern) - Schlussreinigung und gründliche Desinfektion aller Flächen mit mindestens begrenzt viruzidem
Flächendesinfektionsmittel.
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Die aktuelle Evidenzlage gilt als nicht ausreichend, um eine aerogene Übertragung mit SARS-CoV-2 im Rahmen zahnärztlicher Tätigkeiten zu bestätigen oder auszuschließen.
Die Leitlinie ist bis zur nächsten Aktualisierung gültig, die Gültigkeitsdauer wird auf 6 Monate geschätzt. Vorgesehen sind regelmäßige Aktualisierungen; bei dringendem Änderungsbedarf werden diese gesondert publiziert.
Die Formulierungen der Empfehlungen in diesem Telegramm wurden 1:1 dem Leitlinientext entnommen.
Für mehr Details findet man die DGZMK Langversion der Leitlinie mit sämtlichen Definitionen.
Literatur:
„Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern“, Langversion, 2020, AWMF-Registriernummer: 083-046, https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/083-046.html, (Zugriff am: 21.10.2020)
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