Was tun bei Parodontitis?
Wie es zur Erkrankung kommt, die im Volksmund auch „Parodontose“ genannt wird, und sie sich im Mund zeigt, lesen Sie » hier.
Manche Patient*innen denken bei Parodontaltherapie sofort an einen chirurgischen Eingriff oder haben Horrorgeschichten über die Behandlung gehört: Tatsache ist jedoch, dass parodontale Gesundheit in einem Stufenkonzept erreicht werden kann. Dieses reicht von wenig aufwendigen Methoden bis zu komplexen Eingriffen, die an das Ausmaß und den Schweregrad der vorliegenden Erkrankung angepasst werden.
Die Europäische Föderation für Parodontologie (efp.org), zu der auch die ÖGP gehört, veröffentlichte im Jahr 2020 eine Leitlinie zur stufenweisen Behandlung von Parodontitis. Diese liegt nun in 16 Sprachen vor und wurde in einigen Ländern sogar zur Voraussetzung für die Bezahlung durch die Krankenkassen.
Am Anfang steht die Befunderhebung: welche Taschentiefe ist normal?
Es kann sein, dass Sie selbst meinen, ganz gesundes Zahnfleisch zu haben, aber Parodontitis ist eine stille Erkrankung, die sich in die Tiefe fortsetzt und bei welcher eine bloße Mundhygiene nicht mehr hilft: die Zahnfleischtaschen, die bei Knochenabbau auftreten, können nur im Rahmen einer zahnärztlichen Untersuchung festgestellt werden. Ein erster Hinweis kann sich aus einem Röntgenbild ergeben, in dem die Knochenhöhe beurteilt wird. Mit einer stumpfen Sonde wird außerdem sanft getastet, ob diese tiefer als normal zwischen Zahn und Zahnfleisch eindringen kann (siehe auch » „Parodontale Grunduntersuchung“). Es wird außerdem beobachtet, ob es dabei zu Blutung oder Eiteraustritt kommt: beides sind Anzeichen für eine aktive Erkrankung.
Der Grenzwert liegt bei 4mm: tiefere Taschen beherbergen eine komplexe mikrobielle Mischflora von diversen Bakterien, Pilzen, Viren und fallweise sogar Amöben. Sollten viele Zähne im Mund betroffen sein, oder sehr tiefe Taschen vorliegen, kann es sein, dass Sie zu einem/einer Spezialist*in für Parodontolog der ÖGP überwiesen werden.
Nach einer genauen Aufzeichnung der erkrankten Stellen erfolgt die Diagnose. Diese sollte nach der neuen, im Jahre 2018 eingeführten Klassifikation erfolgen. In diese werden sowohl das Ausmaß als auch der Schweregrad der vorliegenden Erkrankung eingeordnet und die zwei wichtigsten Risikofaktoren (Rauchen und Zuckerkrankheit) erfasst.
Schritt 1: die Hygienephase
Die Professionelle Zahnreinigung (PZR)
Im Rahmen einer oder mehrere Sitzungen einer sogenannte Professionellen Zahnreinigung (PZR) werden alle Zahnoberflächen und Zwischenräume aufs Genaueste gereinigt: weiche Beläge (Plaque) und verkalkte Beläge (Zahnstein) und andere Putzhindernisse werden entfernt und die Zähne auf Hochglanz gebracht. Hierbei kommen Pulverstrahlgeräte, Ultraschallscaler sowie Handinstrumente (Scaler) zum Einsatz. Ev. werden die Zähne poliert. Jedenfalls sollte eine Fluoridierung erfolgen.
Was Sie selbst beitragen können
Damit sich diese Beläge nicht von neuem bilden, sollten Sie lernen, alle Ihre Zahnoberflächen perfekt sauber zu halten! Das bedeutet, 2-mal pro Tag alle Zahnoberflächen und 1-mal pro Tag alle Zahnzwischenräume möglichst zu 100% von Plaque zu befreien. Wenn bei Ihnen Parodontitis diagnostiziert wurde, könnte es sein, dass Sie besonders anfällig sind und Ihr Körper bereits auf kleinste Plaquemengen überschießend reagiert.
Schwierigkeiten treten erfahrungsgemäß in den Zahnzwischenräumen, im Bereich der Backenzähne oder bei Brückenkonstruktionen auf. Für diese Zonen gibt es geeignete Hilfsmittel, die speziell für Ihre individuelle Situation ausgewählt werden. Bitte sprechen Sie mit der Prophylaxeassistent*in vertrauensvoll darüber: sie hat eine spezielle Ausbildung abgeschlossen.
Achtung bei Rauchen und Diabetes
Bereits in dieser Phase der Behandlung geht es auch darum, Risikofaktoren „in den Griff“ zu bekommen, die auf die Mundgesundheit Einfluss haben. Vor allem Rauchen beeinträchtigt die Durchblutung und somit die Heilungsmöglichkeit des Zahnhalteapparats sehr: je mehr Sie rauchen, umso schlechter. Bitte, fragen Sie Ihre/n Hausarzt/Hausärztin, wie Sie am besten den Nikotinkonsum verringern oder sogar stoppen können. Es gibt mittlerweile sehr gute Rauchstoppprogramme.
Falls Sie Diabetes haben: Das Management einer ev. vorliegenden Zuckerkrankheit ist von Bedeutung für den Aufbau von neuem parodontalem Gewebe. Der Wert, an dem sich die Qualität der Zuckereinstellung ablesen lässt, ist der sog. HbA1c Wert. Dieser sollte unter 7% (53 mmol/l) liegen. Bitte, fragen Sie bei Hausarzt/Hausärztin nach und bemühen Sie sich um eine gute Einstellung.
Nach einer oder mehreren professionellen Reinigungssitzungen werden Sie bereits deutliche Verbesserung verspüren. Typischerweise blutet das Zahnfleisch nun schon weniger und auch Mundgeruch verbessert sich meist rasch. Nun ist es Zeit für den nächsten Schritt!
Schritt 2: die nicht-chirurgische Basistherapie
Die parodontale Therapie besteht in der systematischen Reinigung aller Wurzeloberflächen in der Tiefe der Zahntaschen. Diese sollte durch Zahnarzt*in, Parodontolog*in oder Dentalhygieniker*in (Achtung: nicht zu verwechseln mit der Prophylaxeassistent*in) durchgeführt werden.
Dieser Schritt ist umso aufwändiger, je tiefer die Zahntaschen sind und wird meist in mehreren Sitzungen (und eventuell unter lokaler Betäubung) durchgeführt. Auch hierbei kommen Ultraschallscaler zum Einsatz, nun sind allerdings viel feinere Enden nötig, um an den Boden der Taschen zu gelangen. Falls Handinstrumente verwendet werden, sind diese ebenfalls sehr fein und werden regelmäßig geschärft, um die Wurzeloberflächen schonungsvoll bearbeiten zu können.
Was bringen zusätzliche Therapiemöglichkeiten wie Laser oder photodynamische Therapie?
Beide Technologien bieten ein Verbesserungspotenzial. Der in den derzeit vorliegenden Studien gesehene Langzeitnutzen ist jedoch nicht deutlich genug, um die Anwendung zu empfehlen. Außerdem sind bedeutende Zusatzkosten zu erwarten.
Braucht man gegen die Bakterien Antibiotika?
Nur in sehr schweren, weit fortgeschrittenen Fällen oder bei sehr jungen Patient*innen werden zusätzlich zur parodontalen Therapie Antibiotika in Tablettenform verschrieben. Diese bekämpfen zwar die Bakterien, wirken aber nur dann durchschlagend, wenn alle Wurzeloberflächen zuvor gesäubert wurden.
Welche chemischen Behandlungszusätze machen Sinn?
Am wichtigsten in dieser Phase sind die perfekte Mundhygiene und die genaue Reinigung der Zahntaschen. Liegen nur wenige Taschen vor, kann ev. die mechanische Therapie durch lokale antiseptische (Wirkstoff Chlorhexidin in Form von Mundspülungen oder Chips) oder antibiotische Maßnahmen unterstützt werden.
Was ist das Ziel der Therapie?
Durch die Therapie sollen Anzahl und Tiefe der Zahntaschen sowie Schwellung und Entzündung des Zahnfleisches deutlich verringert werden.
8 bis 12 Wochen nach der letzten Instrumentation der Taschen wird der Heilungserfolg beurteilt. Hierfür werden neuerlich alle Zähne durchgemessen, ev. werden weitere Befunde wiederholt. Im günstigsten Fall finden sich keine Taschen von mehr als 4mm mehr, es liegen stabile Hygieneverhältnisse vor und die aktive Behandlungsphase kann abgeschlossen werden. Es kann nun die lebenslange unterstützende Parodontaltherapie (auch unterstützende parodontale Therapie kurz „UPT“ genannt) beginnen.
Bei weit fortgeschrittenen Fällen und vor allem an Backenzähnen ist es jedoch manchmal nicht möglich, eine stabile entzündungsfreie Situation zu erzielen, dann muss weiterführend behandelt werden.
Was sind die Folgen der Behandlung?
Parodontitis führt zu Knochenabbau. Dies ist im unbehandelten Zustand oft nicht gleich deutlich zu sehen, weil das Zahnfleisch noch geschwollen ist. Sobald diese Schwellung durch die Therapie abgeklungen ist, legt sich das Zahnfleisch wieder dicht an den Knochen. Die Zähne erscheinen dadurch länger, als vor der Therapie. Gelegentlich kann es dadurch zu einer erhöhten Zahnempfindlichkeit auf heiß/kalt/süß kommen, die meist rasch abklingt oder gut behandelt werden kann. Durch das straffere Anliegen des Zahnfleisches und des gestoppten Knochenabbaus können sich einige lockere Zähne auch wieder festigen.
Schritt 3: Chirurgische Therapie
Muss immer und überall operiert werden?
Falls Resttaschen zurückgeblieben sind, kann versucht werden, diese gezielt durch wiederholte Instrumentation und zusätzliche lokale Therapieansätze zu reduzieren. Der Vorteil des chirurgischen Vorgehens ist jedoch der direkte Zugang zur Wurzeloberfläche. Im gleichen Schritt können der Knochenverlauf und das darüber liegende Zahnfleisch optimiert werden. In bestimmten Situationen kann versucht werden, verlorengegangenes Gewebe mittels „gesteuerter Geweberegeneration“ wieder aufzubauen.
Was können Patient*innen in dieser Phase beitragen?
Chirurgie ist aufwändig und mit Kosten verbunden. Um gute und vor allem stabile Ergebnisse sicherzustellen sind gewisse Voraussetzungen nötig: Patient*innen sollten nicht rauchen, perfekte Mundhygiene betreiben und regelmäßige Nachsorge in Anspruch nehmen.
Schritt 4: lebenslang – individuell: die unterstützende parodontale Therapie (UPT)
Wie schon erwähnt, verhindert nur perfekte tägliche Zahnreinigung die Neubildung von Bakterienbelägen. Um ein Wiederaufflammen Ihrer Parodontitis zu verhindern, werden Sie in ein Langzeitbetreuungsprogramm eingebunden. Abhängig von Ihrem Risiko (Rauchen, Diabetes, Mundhygiene, Medikamente…) werden Sie in bestimmten Abständen (alle 3-12 Monate) zu sogenannten „Recall“-Sitzungen (eben auch UPT genannt) eingeladen. Dabei wird jedes Mal die medizinische Anamnese erneuert und Ihr Mundhygieneniveau beurteilt; allfällige Problemstellen werden kontrolliert und behandelt und es wird eine Reinigung ihrer Zähne mit abschließender Fluoridierung durchgeführt.